Welle der Hilfsbereitschaft
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Die Bundesstraße 267 zwischen Ahrweiler und Marienthal: Das Bild steht für die enormen Schäden, die das Hochwasser der Ahr angerichtet hat.

Was Handwerker erlebt haben, wie es nun weitergeht und wie andere helfen könnenDer Flutkatastrophe im Ahrtal folgt Welle der Hilfsbereitschaft

Die ganze Nacht haben Maik Rönnefarth und 13 seiner Mitarbeiter gekämpft, haben ihre Tischlerei in Dernau an der Ahr verteidigt gegen die tonnenschwere Wucht der Wassermassen. Die Ahr ist normalerweise 100 Meter entfernt, doch nun steht der Betrieb im reißenden Fluss. Und der steigt von Minute zu Minute weiter an. „Wir haben die Tore von innen mit dicken Balken stabilisiert, gehofft, es hält.“ Doch irgendwann in dieser Nacht ist der Kampf vorbei und die Tischler bringen sich selbst in Sicherheit. Die Werkstatt ist in Teilen zweigeschossig ausgebaut – die Rettung.

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Dernau an der Ahr ist Heimatort der Tischlerei "Die Holzwürmer".

Unter ihren Füßen zerstören Wassermassen alles, was in den vergangenen Jahren aufgebaut wurde. Millionenteure Bearbeitungsmaschinen versinken in den braunen Wassermassen. Die Tischlerei „Die Holzwürmer“ gilt über die Region hinaus als Musterbetrieb, geht es um Hightech im Tischlerhandwerk. Kaufhäuser, Büros, Arztpraxen, Apotheken und Wohnhäuser werden durch Rönnefarth und seine fast 30 Mitarbeiter eingerichtet. „Ein kompletter Großauftrag stand in der Fertigung und sollte am Donnerstag verladen und ausgeliefert werden.“ Doch am Donnerstag sind weite Teile des Unternehmens gar nicht zu erreichen. Überall haben sich Maschinen und Material verkantet, verkeilt, verbogen. „Wir hatten das Lager voll, denn aufgrund der Lieferengpässe in den zurückliegenden Wochen haben wir rechtzeitig unsere Bestände aufgestockt.“ Alles ein Opfer der Fluten, die selbst schwere Dinge wie Autos, Lastkraftwagen, Überseecontainer oder Bearbeitungsmaschinen mühelos vor sich hergeschoben haben. Vieles wird nie wieder auftauchen.

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Die Produktionsräume der Holzwürmer nachdem sich tonnenschwere Wassermassen ihren Weg gebahnt haben.

Am Ende dieser Katastrophennacht ist klar: es sind Kollateralschäden. Nicht nur in Rönnefarths Tischlerei. Das Ahrtal ist im Schockzustand. Einige wenige Menschen laufen hilflos durch die Gegend, schauen nach, ob der Nachbar noch am Leben ist.

Das Wasser kam abends rasend schnell, nach stundenlagen, extremen Regenfällen. Am nächsten Morgen ist es weitestgehend wieder weg. Nun liegt überall eine Schlammschicht, je nach Strömung bis zu einem halben Meter stark. Maik hat seine Jungs nach Hause geschickt – wenn es das überhaupt noch gibt. Nachts gehen ging nicht. Irgendwann konnte niemand mehr seinen Standort verlassen, denn dort, wo am frühen Abend noch Wege und Straßen waren, strömte das Wasser mit Bäumen, Autos, Gastanks, Wohnwagen vorbei. Gleich mehrfache Lebensgefahr, denn die Fluten nahmen alles mit, was sich in den Weg stellte, was in ihnen landete. „Wir haben dann im Laufe des Tages mit den Aufräumarbeiten angefangen“, erzählt der 44-jährige Unternehmer. Die Arbeiten wirken vor der Kulisse des völlig durcheinander gewirbelten Ahrtals wie der erste Schritt beim Besteigen des Mount Everest. Es sind kleine Schritte, die zurückgelegt werden und man denkt von Schaufel zu Schaufel Schlamm, die irgendwann am Nachmittag die ersten Pflastersteine des Hofes freilegt. Erst außen, dann innen was machen – so lautet der Plan. Ein Gabelstapler hat es überlebt und springt sogar an. Wie ein kleines Wunder bewegt er sich durch die Trümmerwüste. Strom, Wasser, Telefon, Internet – alles tot. Ein technischer Blackout. Nur die Menschen funktionieren irgendwie weiter – mehr oder weniger koordiniert. Über der Firma steht ein Hubschrauber der Bundespolizei in der Luft und sucht in meterhoch aufgetürmten Bergen aus den Resten dieser Nacht nach Überlebenden oder Menschen, die es nicht geschafft haben. Nicht weit weg von der Tischlerei haben sie einen Toten aus den Trümmern gezogen. Es gibt keinen Ort ohne Todesopfer.

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Die Dernauer Tischlerei ¿Die Holzwürmer¿ am Tag nach der nächtlichen Flutkatastrophe: Die Ahr im Hintergrund hat sich bereits weitestgehend zurückgezogen und eine Trümmerlandschaft hinterlassen, über der den ganzen Tag Hubschrauber kreisten auf der Suche nach Vermissten und Toten.

Hochwasser im Ahrtal, an Rhein und Mosel: Handwerker im nördlichen Rheinland-Pfalz wissen um das Risiko eines Unternehmens in Flussnähe. Sie sind eigentlich auch gut darauf vorbereitet: Steigen die Pegel, wird geräumt, mobiles Inventar in Sicherheit gebracht, das Areal verlassen. Geht das Wasser zurück, wird der Schlamm entfernt, alles wieder eingeräumt und weitergearbeitet. Das sind übliche Abläufe in Stunden oder wenigen Tagen. So läuft das im Miteinander mit der Natur. Doch diesmal ist das alles anders. Zu viel Wasser in einer Topografie, die keinen Ausweg bietet. Stattdessen kommt auch von 59 kleinen Seitenbächen auf 85 Kilometer Flußlänge eine Unmenge Wasser hinzu. Die Ahr schwillt extrem schnell an und das Volumen im üblichen Flussbett reicht nicht aus, um so viel Wasser abzuführen. In der Folge steigen die Pegel rasant schnell, um das Volumen zu bewältigen. Auf Höhe der Tischlerei Rönnefarth sind es plötzlich nicht mehr die gewohnten 20 Meter Fluss-Breite, sondern 200. Die Gebäudewände verraten mit ihren „Schmutzmarken“ auch die Höhe: knapp drei Meter stand das Wasser hier – in einem Abschnitt, in dem die Ahr mehr als fünf Meter unter Betriebsniveau liegt.

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Die Scheiben mit ihren "Schmutzmarken" zeigen, wie hoch das Wasser stand. Nichts dahinter blieb unbeschädigt.

Nach der Flut kommt die Hilfe. Schon Stunden später wird das Ahrtal zum Ziel nationaler und internationaler Maßnahmen. Feuerwehren aus ganz Deutschland, THW, Bundeswehr, medizinische Rettungsdienste, Polizei, tausende private Helfer packen an. Am ersten Wochenende nach der Flut – es sind weniger als 72 Stunden vergangen – gleicht das Ahrtal einer gigantischen Großbaustelle. Überall wird geschippt und entrümpelt, auch getröstet und beruhigt. Es ist ein kollektives Miteinander, das beeindruckt und viele schuften bis tief in die Nacht hinein ohne Pause, darunter viele Handwerker. Ganze Betriebe sind im Einsatz, so das Limburger Bauunternehmen Albert Weil mit zahlreichen Lastkraftwagen und schwerem Gerät. „Wenn man das miterlebt, schöpft man auch ganz schnell wieder Hoffnung“, lächelt Maik Rönnefarth. Und hat nun sogar schon wieder Pläne, wann die Produktion anlaufen soll. Vor drei Tagen war er froh, dass er und seine Mitarbeiter das Szenario lebend überstanden haben.

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Viele Helfer beteiligten sich im Ahrtal an den Aufräumarbeiten, darunter auch zahlreiche Handwerker und Handwerksbetriebe ¿ im Bild die Lastkraftwagen des Bauunternehmens Albert Weil aus Limburg an der Lahn.

Die Handwerkskammer (HwK) Koblenz lässt den Kontakt zu den Betrieben nicht abreißen. Was technisch schwierig ist, denn Kommunikationsnetze funktionieren nicht mehr. Entlang der Ahr vom Örtchen Schuld bis zur Mündung in den Rhein bei Sinzig ist das meiste zerstört. Häuser, Betriebe, Versorgungsnetze, Straßen und die Eisenbahnlinie – der Vergleich mit einem kriegerischen Akt ist beim Anblick der Landschaft zulässig.

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Vieles von dem, was sich die Bewohner im Ahrtal über Jahrzehnte aufgebaut haben, ist in der Nacht vom 14. zum 15. Juli 2021 zerstört worden. Im Ort Marienthal (im Bild) starben vier von 100 Bewohnern.

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Gastronomische Betriebe im Ahrtal lagen oft in Flussnähe, entsprechend dramatisch sind dort die Schadensbilder.

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Die Wucht des Wassers hat die Bahnstrecke im Ahrtal komplett zerstört.

Da schaut die unbeschädigte Ahr-Akademie der HwK wie ein Leuchtturm aus diesem Trümmerfeld. „Wir haben sofort unsere Räumlichkeiten den betroffenen Handwerkern als Notbüro angeboten. Strom und Internet funktionierten, so konnten wenigstens die wichtigsten Nachrichten rausgeschickt werden“, erklärt Ralf Hellrich, HwK-Hauptgeschäftsführer, der zusammen mit dem gesamten Kammer-Team in Windeseile auf Notstand umgeschaltet hat.

„Handwerker helfen Handwerkern“ ist die Hilfsaktion, die bereits einen Tag nach der Katastrophe Hilfsangebote mit dem Bedarf im Krisengebiet zusammenbringt. 400 Angebote aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland gehen am ersten Wochenende ein. „Wahnsinn, diese Unterstützung!“.

Im Großen wie im Kleinen wird die Handwerkskammer zum Helfer. „Ein Betrieb wandte sich an uns, weil er in der Telefonwarteschleife seiner Versicherung nicht weiterkam. Er sollte seine Versicherungsnummer eingeben, die er natürlich nicht auswendig kannte. Alle Unterlagen waren weggeschwommen“, berichtet Stephanie Binge, Leiterin der HwK-Betriebsberatung. Das Leben „da draußen“ ging seinen gewohnten Gang, auch das in einer Telefonwarteschleife. „Kein Mensch hat in einer solchen Lage die Nerven, Zeit oder Geduld, sich da durchzukämpfen. Das haben wir dann übernommen“.

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Zweiradmechanikermeister Georg Schmitz aus Adenau führt dort ein Motorradbetrieb und konnte über den Herstellerpartner Yamaha mehrere Stromerzeuger an Betroffene im Flutgebiet vermitteln ¿ schnell und bedarfsgerecht.

„Ich habe in der Nacht acht Notstromerzeuger vom Herstellerpartner Yamaha erhalten“, berichtet Zweiradmechanikermeister Georg Schmitz aus Adenau. Sein Motorradgeschäft unterhalb des Nürburgrings liegt am Rande des Katastrophengebietes. Nach wenigen Stunden stehen die acht Apparate dort und liefern Strom, wo man sie braucht. Parallel rufen Kunden aus ganz Deutschland bei ihm an und wollen wissen, wie man helfen kann. „Das ist unglaublich, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Die Solidarität ist eine eigene Dimension in dieser Katastrophe.“ Ganz nebenbei erwähnt Schmitz, dass es der Yamaha-Deutschland-Chef persönlich war, der die dringend benötigten Stromerzeuger in Adenau abgeliefert hat. Die Flutkatstrophe ist nicht nur hier Chefsache und niemand ist sich zu Schade, unkonventionelle und rasche Entscheidungen zu treffen. Verschlammte Kleidung und Morast im Gesicht gehören dazu. „Waschen und schlafen können wir später. Momentan kommt ohnehin niemand zur Ruhe“, sagt Maik Rönnefarth. Und formuliert einen deutlichen Apell: „Die Unterstützung muss sich bitte an dem orientieren, was wir hier brauchen. Alles andere ist keine Hilfe, auch wenn die Absicht sicherlich gut gemeint war.“

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Maik Rönnefarth am Tag nach der Flutkatastrophe. Auch das zeichnet den Unternehmer aus, der sofort mit den Aufräumarbeiten begann und trotz chaotischer Zustände das Lächeln nicht verlernt hatte.

„Wichtig ist aktuell die Koordination“, greift Ralf Hellrich diesen Gedanken auf. „Es kommt jetzt sehr darauf an, die überwältigende Hilfsbereitschaft sinnvoll zu kanalisieren und diejenigen Institutionen damit zu betrauen, die jeweils das größte Knowhow und die beste Informationslage haben. Im Moment sind dies die Krisenstäbe der Kreisverwaltung und der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, daher leiten wir alle bei uns gemeldeten Unterstützungsangebote direkt auch dorthin weiter.“

Außerdem wurde für Sachspenden oder Leihgaben für den betrieblichen Bedarf und Unterstützung in Form von Arbeitsleistung auf dem Portal der Kreishandwerkerschaft Ahrweiler www.fachhandwerk.de die Rubrik „Handwerk hilft Handwerkern“ eingerichtet.

Weiterhin ist die Telefonhotline der Handwerkskammer geschaltet, die Hilfsangebote anderer Betriebe und Ersuchen von betroffenen Handwerksunternehmen aufnimmt und Maßnahmen koordiniert.

0261/ 398-251 lautet die Telefonhotline, per E-Mail können Angebote und Anfragen unter hochwasserhilfe@hwk-koblenz.de eingereicht werden.

 

21.07.2021



HwK-Pressestelle

Jörg Diester

Jörg Diester
Leitung Pressestelle

Tel. 0261 398-161

joerg.diester--at--hwk-koblenz.de



 

Informationen

0261/398-251

  hochwasserhilfe@hwk-koblenz.de